Wandelndes Licht

Die alte Quitte und das Spektrallicht 

Die Zeiss-Prismen, die auf der Fensterbank des Atelier liegen, brechen das Licht, lenken es um und spalten es in wundervolle Farb-Spektren auf. 

An diesem sonnenstarken Frühlingstag wandern die leuchtende Farbinseln langsam durch das Atelier. Auch über den Tisch auf dem ein realistisch gemaltes Bild, mit einer verschrumpelten Quitte liegt. Neben der Installation mit Quitten aus drei Jahren.

Foto: Alfred Bast. Werkgruppe Naturikonen. Quitte. Mischtechnik auf Leinwand. 30 x 30 cm. Quittensammlung aus drei Jahren, 2019, 2020 und 2021.

Das ovale Prismen-Licht nähert sich dem Bild. Es hat etwa die selbe Größe wie die gemalte Quitte und wirkt selbst wie eine Lichtfrucht, die langsam auf die schwarz-verschrumpelte Quittenfrucht zuwandelt. Ich ändere nichts, helfe nicht nach, indem ich das Bild verschiebe. Ich lasse dem Zufall seine Präzision. Dann legt sich das Prismen-Licht über das Bild. Als wäre ein zärtlicher, natürlicher Sensor am Werk der das gemalte Bild aufnimmt und erkundet.

Meine Augen staunen. Sie waschen sich in diesen Lichtgeschehen, sie baden in diesen Farben wie verstaubte Spatzen in einem Vogelbad und werden „frischsichtig“. 

Deshalb wohl sehen sie zwischen der gemalten alten schwarzen Frucht und dem wandernden Prismen-Licht ein Bedeutungs-Zusammenspiel, das es natürlich „nur“ in meinem Kopf gibt. Das was ich hier beobachte löst etwas in meiner Dunkelkammer, meinem Gehirn, aus. Da funkt es, blitzt auf, da feuern alle Synapsen und lösen sofort Impulse aus die Handlungen in Gang setzen. Kurz: ich bin inspiriert. Rasch ist die Kamera geholt. Klick. Das Lichtbild ist im Lichtbild festgehalten. Licht wirkt innen und außen.

Atelier Arbeitsplatz mit Quitteninstallation und Prismenlicht

Das farblose Licht besteht aus Photonen, aus Quantenobjekten mit den paradoxen Eigenschaften, dass sie zugleich Welle und Teilchen sind.  Wenn sie auf Moleküle treffen, zum Beispiel auf grüne Chlorophyll-Moleküle lösen sie sich darin auf, und bewirken die Photo-Synthese, die die Basis der Nahrung für alle Lebewesen der Erde ist. Photonen sind Wirkquanten. Das ist nicht metaphorisch gemeint, sondern wirksame Wirklichkeit.  Auch wer zu lange in der Sonne liegt spürt das.

Licht ist in meiner Arbeit seit 50 Jahren zentral. Nicht nur in der Darstellung, sondern auch als Malmittel, als brennende Stöcken mit denen ich zeichne, oder wenn mit einer Lupe das Sonnenlicht gebündelt wird, um damit Licht-Zeichen in die Leinwand zu brennen. 

Meine wichtigsten Kataloge und Ausstellung tragen den Titel: Licht-Grund. 

Licht ist natürlich nicht nur in meiner Arbeit Kernthema.

Am stärksten beeindrucken mich,  in Bezug auf Licht im Bild, Rembrandt (1606 – 1669) und Carravaggio (1571 – 1610). 

Bei den Rembrandt-Radierungen mit ihrem Lichterscheinungen ist das Licht wesentlich und wesenhaft. Es zeigt die Kraft des Unsichtbaren das sich der Form entzieht, auch wenn es alle Formen erst hervorbringt. Dabei kann die Lichtwirkung im Bild nicht heller sein kann als das Weiß des Papiers, also das was nicht gestaltet, nicht „gemacht“ werden kann, was gegeben ist, eben die weiße Leere des Papiers. So wie das Leben gegeben ist wie eine leeres Blatt Papier auf das sich mit dem ersten Atemzug die Spuren schreiben die es nach und nach beschriften, verdichten und verdunkeln. Aber wie? In Rembrandt Radierungen wird es nicht einfach nur dunkler. Dort sind alle Striche, von den feinsten Grau-Nuancen bis zum schwärzesten Part auf dieses Papierweiß ausgerichtet das sich zum Licht wandeln soll. Sie umspielen es, umkreisen es, und lassen es durch Schatten eine machtvolle zentraler Präsenz bekommen. Das Weiß des Papiers wird in Licht verwandelt. Und selbst diese handwerklichen Ebene stimmt mit dem Inhalt des Werkes überein, um der verwandelnden Kraft des geistigen Lichtes Ausdruck zu verleihen. Denn alles was Dunkel ist, ist gemacht, vertieft, geätzt, alles was Licht ist bleibt unberührtes Papierweiß.

Auch Caravaggio war ein Maler des Lichts. Doch nicht das von innen strahlende, mystisch-wesenhafte Licht Rembrandts, sondern die scheinwerferartig, dramatisch inszenierte äußere Beleuchtung historischer Szenen ist für seine grandiosen Werke charakteristisch, die dem heutigen fotografischen Blick modern erscheinen.

Schon immer experimentierten die Maler mit dem Licht als Inneres Gesehenen als äußerer Phänomen, etwa mit der Camera obskura. Bereits Aristoteles (383-322 v. Chr) kannte es, und der Arbraber Alhazen untersuchte um 980 Lichtwirkungen mit der Camera obcsura. 

Die Forscher und Künstler der Renaissance kannten diese Möglichkeit, in einem dunklen Raum, in dem ein kleines Loch angebrachte wurde, auf der gegenüberliegenden Wand das umgekehrte Bild des umgebenden Außenraumes zu sehen. Das wurde bald auch als Metapher für das Sehen selbst verwendet. Die Pupille ist demnach das Loch das das Bild der Außenwelt in die Dunkelkammer des Gehirns produziert, wo es umgekehrt gelesen wird. Das wurde auch die Grundlage der Fotografie, wobei es galt dieses Licht-Bild zu „fixieren“. Das gelang dann dem Franzosen Louis Jacques Daguarre (1787 – 1851). 

Die Erfindung der Fotografie hatte weitreichende Konsequenzen für das Sehen und die Malerei, die nun nicht mehr das realistische Abbild anzustreben brauchte, sondern sich frei, wie im Impressionismus dem spontanen Eindruck, oder wie im Expressionismus dem inneren Ausdruck zuwenden konnte. Im Kubismus wurde Gestalten der Natur auf Grundformen, Kreis-Dreieck und Quadrat,  und im Pointilismus die Farben auf die dreiGrundfarben, Gellb-Rot-Blau reduziert, woraus sich alle Formen und Farben neu zusammenbauen lassen. 

In der modernen Kunst begeistern mich die Lichtarbeiten des Landart Künstlers James Turell (1943) Lichtarbeiten. Sie lassen das Rätsel Licht auf überraschende Weise erlebbar werden. Und ich staune bei seinen Werken wie beim Prismenlicht das durch mein Atelier wandert. Denn es ist ja bei James Turell und den Prismenfarben das selbe offenbare lichte Geheimnis, ohne das es nichts gäbe was ist.

Alfred Bast KUNST KLOSTER im Frauenhof, 3. März 2021