Das Sonnenlicht im Atelier ist in diesen Tagen von seltener Klarheit und Kraft.
Die Zeiss-Prismen zaubern wunderschöne Spektralfarben in den Raum und „impfen“ meine Werkzeuge mit Licht.
Sie wandern auch über die Bilder, als würden sie sie sanft streichelnd erkunden
Heute, am 24. März, wäre der Tag meines Abflugs nach Pondicherry und Auroville in Südindien. Dort wollte ich mein siebenjähriges Reclam-Projekt mit Buch 44 abschließen.
Doch „Coronien“ hat sich rasant weltweit ausgebreitet und schluckt alle Kontinente in sein unfassbares Niemandsland; in ein Vakuum das alle Verbindungen kappt oder verändert und ins Eigene, radikal Nahe, bei gleichzeitiger Distanz, zwingt.
Nun wird Buch 44 ein Corona-Tage-Buch, in einem Jahr von Reclam online veröffentlicht. Wie wird das dann rezipiert? Wie werden wir auf diese jetzige Zeit zurückblicken?
Die Räder stehen weitgehend still. Die meisten Flugzeuge parken am Boden. Grenzen sind dicht. Zugleich grünt und blüht in unserer Regionen der Frühling.
Vielleicht können wir jetzt wieder lernen erdverbundener vor Ort zu wurzeln, um vertikal in die potenziellen geistigen Potenziale zu wachsen und dabei unserer innere Navigation auf intelligente Weise neu zu justieren.
Ich habe keine Wahl und bin bereit und entschlossen diese Zeit als eine wertvolle zu deuten, und zu ergreifen.
Mir ist bewusst: ich bin in einer privilegierten Situation (trotz Alter und Risikogruppe). Vielen Menschen ist das nicht möglich. Sie leben in Häusern mit vielen Wohnungen und haben wenig Natur in der Umgebung. Das macht mich traurig und demütig.
Aber es darf mich nicht lähmen. Ím Gegenteil.
Ich wünsche sehr. dass viele Menschen ihre Kreativität entdecken, dass sie ihre Hände, – dieses nach Außen verlagerte Geranie (Kant) – nicht nur zum tippen und wischen nutzen, sondern auch mal einen Farbstift in die Hand nehmen. Malen ist kinderleicht, wenn der hemmende Anspruch ausradiert wird.
Privilegien sind nicht dazu da sich darin eitel, egoistisch und narzisstisch zu spiegeln, sondern sie sind eine Arbeitsbasis um etwas zu schaffen, das das eigene chotische Potenziell, aus bewussten Absichten und unbewußten Motiven, in Gestaltung transformieren kann. Und möglicherweise deshalb auch für andere von nährendem Wert ist.
Und ist es nicht der eigentliche Kern von Kunst und Kultur, Nahrung zu schaffen für die seelisch-geistige Dimension des Menschen, wer immer sie benötigt? Und ich brauche sie, wie die Luft zum atmen.
Privileg hin oder her.
Arbeiten ist nicht konsumierbar. Die Arbeit will getan werden, mit all ihren Risiken, Freunden und (schmerzlichen) Grenzen.
Momentan arbeite ich an einer Serie weiter, die für die Ausstellung in der Aurodhan Galerie in Pondicherry gedacht war. Die Motive dazu stammen aus dem „KLEINEN grossprojekt“ mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Vielleicht werde ich nächstens diese Ausstellung als online-Ausstellung verfügbar machen. Eintritt frei.
Dass ich in diesen Zeiten der Zurückgezogenheit so ungestört malen kann, um in langsamen Prozessen die Bilder ausreifen zu lassen, entspricht dem Impuls des KUNST KLOSTERs, in dem Mediation und Kreativität sich begegnen und ergänzen.
Mit besten Wünschen und lichten Grüßen.
AB