30. 3. 2020. Corona – und was es sonst noch gibt. Teil fünf.

30. März 2020

Guten Morgen, liebe Freundinnen und Freunde. Danke für die positiven Rückmeldungen!

Was lässt mich auch heute um drei Uhr früh aufstehen, ohne Wecker, um in meiner Gedankenwerkstatt an der Sprachskulptur weiterzuarbeiten?
Fühle ich mich verpflichtet durch meine Ankündigung ein Werktagebuch zu führen, um dies im kleinen Kreis zu kommunizieren? Das prüfe ich. Ich würde pausieren wenn das so wäre.

Nein, was so früh in der Dunkelkammer meines Gehirns ein Feuer anzündet sind mehrere reale Aspekte der einen Ausnahme-Wirklichkeit.
Es ist die Vollbremsung des kollektiven Motors, mit seinem derzeit verborgen brodelnden Stillstand. Es ist die rasende Geschwindigkeit und die Wucht eines Tsunami die das Geschehen öffentliche Leben weltweit lahmlegt, das private reglementiert, und dies zugleich global vermittelt. 
Auch das Verhältnis von rationalen Zahlenkurven und irrationalen Reaktionen, fordert notwendige Aufmerksamkeit. Ich will und muss mich damit befassen ohne dass mir gleich in der wirbelnden Informationsflut die Luft ausgeht und mein bisschen Bewußtsein darin.
Und nicht zuletzt die unbekannte Ruhe, eine Art Aufatmen der Natur, die Klarheit der Luft. Auch die gesteigerte Intensität im Atelier das immer mehr dem KUNST KLOSTER art research entsprich, in dem der innere, unkündbare Arbeitsplatz und eigene Umgang damit, aus dem auch diese Blogreihe hervorgeht, ein dichte kreative Stimmung bilden. So kann ich heute ein weiters neues Bild, als virtuelle Ausstellung, die real für Indien vorgesehen war vorstellen.

Atelier im Frauenhof

Nachdem das zwölfte Bild für die Indien-Ausstellung entstanden war, folgte ich dem Impuls die Reihe fortzuführen. Dazu schnitt ich aus der zwei Meter großen Leinwandrolle die entsprechenden Formate zu, tackerte sie auf ein Brett und begann mit der Grundierung.
Was immer auf der groben Leinwand geschieht, angefangen bei der Grundierung, es ist ein wacher, offener Sinn dabei, der selbst im ersten Spachtelauftrag schon Kunst wittert, und diesen auch fotografisch dokumentiert.
Schon hüpfen in Hintergrund, wo immer dieser auch ist, muntere Ideen pumuckelhaft herum, die den ernsten „Handwerksmeister Eder“ necken, der so beharrlich sein geplantes Grundier-Vorhaben durchführt. (ich gehe davon aus, dass alle Pumuckel und Meister Eder kenne, richtig?)

Grundierung
Grundierung mit „Fehler“

Ärgerlich! da hat sich eine gelbe Ölfarb-Spur durch den unsaubern Spachtel eingeschlichen. Farbe war im Plan diesmal nicht vorgesehen. Allerdings: Oft habe ich erlebt dass Fehler Türen ins Unbekannt öffnen.. Der kleine Ärger haben oft was stimulierendes, während große Ärger lähmen. Wird da noch was draus? Mal sehen.

Der zuverlässige Handwerker, der einen durchdachten Plan sogfältig umsetzt ist unbedingt wichtig. Doch im handwerkenden Künstler ist der wache Sinn für das Unerwartbare immer präsent, er schläft nie bei der Arbeit. Er ist jederzeit bereit den Plan zu ändern, wenn auf der Basis des bis dahin Entstanden, eine inspirierende Idee eintritt, die zuvor nicht denkbar und deshalb auch nicht planbar war.

Der lebendige Geist hat immer Zutritt, nicht aber jeder beliebige Neuigkeitsreflex der auf „Teufel-komm-raus Kunst „machen“ will.
Der Teufel mag bleiben wo er ist: im Nichts. Stattdessen will lebendige Geistes Gegenwart im Atelier die Atemluft tränken.

So kam es, dass auf dem Weg – vom oberen Stockwerk, wo ich grundiere, ins untere Atelier wo ich male – in meinen Gehirn offenbar weit auseinander liegende Synapsen zusammen geschaltet wurden, die eine helle Idee ins Bewusstsein funkten.


Der ärgerliche gelbe Fleck rief nach mehr Farbe. Plötzlich konnte ich mir vorstellen. dass das werdende Bild auch eine farbige Grundierung haben könnte.

Work in progress. Grundierung mit Farbpigmenten.

Und warum nicht direkt Farb-Pigment in die Grundierung streuen? Diese farbige Pulver ist von hoher Schönheit, weil es noch von keinem Bindemittel „versoßt“ wurde. Auch habe ich das bisher noch nie gemacht. Es ist für mich immer spannend neue Wege durch das Materia selbstl zu entdecken. Der Weg bildet sich im Gehen.
Das besonders delikate an solchen neuen Schritten ist die Balance zwischen Risikolust und Vorsicht. Das erzeugt eine spannungsvolle Konzentration und Wachheit.


Das Experiment verlief anregend und lädt zu weitern Erkundung ein.

Work in progress. Grundierung mit Farbpigmenten.

Dann beginnt die Übertragung der Zeichnung, vom 8. 3. 2010 aus dem Reclam-Universal-Notizbuch, mit einem harten 7 H Bleistift.

Die Grundierung wurde, nach vielen aufgetragenen Farbschichten wieder. Sie ist leicht körnig und nimmt das feine Bleistift-Grafit gut an.

Sonntäglich langsam entwickelt sich das Motiv auf dem farbigen Grund.
Es soll nicht fertig gemacht werden, sondern aus seiner eigenen Geschwindigkeit heraus entstehen. Das meint, dass die Hand nicht das Bild-Konzept mechanisch umsetzt. Pausen gehören dazu, um den Synapsen für mögliche unbekannte Verbindungen Raum zu lassen.

Es ist wichtig und möglich, zugleich leidenschaftlich konzentriert dran zubleiben, aber nicht zu verbissen, damit der Raum offen bleibt für Geistes Gegenwart. Das bewirkt eine hohe Erlebnis-Intensität

Work in Progress. Jung und Alt.

Wenn ich nicht weiterkomme, aber weiß dass es noch weiter geht, dann mache ich was anders: koche, wasche ab, gehe spazieren, räume auf, höre Musik, manchmal Nachrichten.

Work in Progress. Jung und Alt.

Jeder einzelnen Schritt, jeder noch so feine Bleistiftstrich möchte eine direkte Äußerung innerer Präsenz sein.
Wenn das so ist, dann strömt etwas aus der Hand, das über die Augen wieder zurückfließt und ein Stauen bewirkt. Die Zeichnung entsteht wie von selbst. Das ist belebend und erfrischend. Dann wird das Blattgold aufgetragen. Bei der Jungend außen, beim Alter innen.
Jungend und Alter bestimmen das Bildmotiv. Beide Pole gehören einem ganzen Leben an. I
ch befinde mich in der Altersphase und bin neugierig, was denn das ist. Ich war noch nie an dieser Stelle. Was ich feststellen kann ist, dass sich dabei viele Widersprüche zusammenfinden, das neue Einsichten möglich sind, die ein vielschichtiges Ganzes ahnen lassen.

Die Vielschichtigkeit ist der Kern dieser neuen Bilderreihe.

BASE – DIVERSITY – KREATIVITY
the daily gift
wäre der Titel für die Ausstellung in Indien.


Die unterschiedlichen Bildermotive basieren alle auf dem selben, relativ rohen Gewebe, das nicht auf einen Rahmen gespannt wird, sondern offene Ränder hat, an dem sich lösenden Fäden wie Fühler in die Umgebung tasten,

Work in Progress auf dem Atelierboden. Jung und Alt.

Dann gibt es noch den Text:
EIN PROJEKT DES ALTERS: DIE STRAHLENDE JUNGEND IN INNIGE KERNKRAFT ZU WANDELN.

Work in Progress. Jung und Alt..


Das ist eine verbale Aussage. Gehört sie ins Bild?
Die Kunstrezeption der Moderne hat erfolgreich das begriffliche Denken als verengend und einschränkend tabuisiert. Die Rezipieren sollen in ihrer Interpretaionsfreiheit nicht eingeschränkt werden. Sie erst die Betrachter vollenden das Bild, so der Kanon. Ich finde das prima. Das aktiviert das kreative Potenzial. Doch ich erlebe viele dieser Rezipienten die hilflos vor so viel Anspruch an sie, dankbar zum Gide greifen, um sich von gebildeten Führern sagen zu lassen was das Kunstwerk verschweigt. Alles was ursprünglich frisch war, gerinnt es nicht mit der Zeit und verflacht zu kleinen Dogmen? Muss alles Gewisse nicht immer wieder neu befragt werden, damit es vital und wirksam bleibt, oder geändert werden muss wenn sich der Kontext geändert hat? So überschreitet der Sonntags-Künstler sachte und respektvoll das unsichtbare Tabu der gängigen Kunstrezeption. Er sagt und schreibt „was er denkt“.

Denn im Künstler denkt es. Doppelt sogar: visuell-emotinal und kognitiv-verbal. Mit diesen beiden Hälften des einen Gehirns, und mit beiden Händen, mit denen er hier schreibt, interessiert ihn ein polares Ganzes.

So bilden die Gegensätze zwischen Präzision und freilassender Offenheit, von feinem Bleistift und grobem Spachtel den Spannungsbogen, das visuell-kognitive Magnetfeld das dem Rezeptierten nichts Verengendes vorgibt, sondern dessen polare Ganzheit anspricht und belebt.

Jung und Alt. Mischtechnik auf Leinwand. 45 x 55 cm. 2020.

Genug für heute.
Das andere, die dunklere Seite, die mich so früh aufgeweckte und die auch auch teilweise schon geschrieben ist, werde ich vielleicht Morgen belichten.

Es gilt noch als herzlicher Montagmorgen Gruß, mit besten Wünschen in den Wochenbeginn.

Alfred (Bast)
KUNST KLOSTER art research