Mittwoch 29. April 2020. Werktagebuch.

Traum.
Bin auf einem Flugplatz. Startklar für Gedankenflüge – im eigenen Kopf. 

Sieben-Jahres-Projekt mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Buch 44.
27.4.2020. Mischtechnik auf Papier. 14,5, x 18,5, cm

Dennoch Kontrolle.
„Halt! Wohin?“
„Ich möchte einen Gedankenflug über Perspektive und die Weltbilder machen.“
Sind sie Coronnier? – Wir sind im Krieg!“ 

Ich schwieg.

Kurzes Verhör:
„Wer ist der Feind?“
„Das Virus.“ …
„Wo kann es auftreten?“
„In uns allen.“ … 
„Wer also bedroht uns? 
„Wir Alle!“ … 
„Wen müssen wir deshalb schützen?“
„Uns Alle!“ …
„Wer schützt uns?“
„Unsere Vernunft.“ …
Wer kontrolliert diese?“
„Sie!“

Anscheinend gab ich die richtigen Antworten.
Seltsam dachte ich: für Coronier gibt es offenbar den seelisch-geistigen Menschen nicht mehr. Eine verblüffend simple Gattung, dachte ich, sagte es aber nicht.

Dann wollten sie noch den Corona-Code, den CC wissen und das Losungswort.
Den Code hatte ihn kurz vorher begriffen und rasch skizziert: (zweites Bild)
1,5 m Abstand. Mundschutz. Dazwischen die Todeszone. Überwachtes Niemandsland. Das Losungswort lautet: wir bleiben zu Haus. Soziale Kommunikation zu Hause über die „sozialen“ Medien.
Züchtig zu Haus

Sieben-Jahres-Projekt mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Buch 44.
28.4.2020. Mischtechnik auf Papier. 14,5, x 18,5, cm

So kam ich durch – und das in meinen eignen Kopf, gar nicht so einfach. … das sind vielleicht Zeiten wo du schon in aller Früh durch eine Überwachungs-Schleusse musst, bevor du in deinen eigenen Denkraum gelangst.

Ich war zwar jetzt aus Coronien draußen, aber noch nicht im eigenen Kopf wieder drin. Warum nicht? Der akzeptierte den CC, den Corona-Code nicht, und auch auf das Losungswort „wir bleiben zu Hause“ kam nur lakonisch zurück: „Warum willst Du dann fliegen?“

Was tun? Glücklicherweise gibt’s am inneren Arbeitsplatz Blattgold (Sonnenmetall). Damit lies sich der humorlose, bleierne Todes-Gefahr-Code rasch umkodieren. Also bekam rasch jeder Totenkopf einen Goldpunkt auf die Stirn und einer sogar ein Herz. Das mochten die sogar. „Sie atmeten auf“ – wenn man das so sagen kann, bei Totenköpfen, und gezeichneten noch dazu. Vielleicht haben sie es satt immer nur Feindbilder sein zu müssen?


Meine Plastik-Tier-Freunde, Affe und Krokodil halfen mit.
Losungswort: „Liebe=Freude=Kunst“.
Jetzt war der Zwischenraum wieder offen, startklar für das schöpferische Spiel im Gedankenflug. Denn ohne Liebe, Freude und Humor geht da gar nix.

Noch zu erwähnen und zu wiederholen ist:
Für den bewussten Geist im Kopf und die Seele im Leib, ist der Tod nicht die schlimmste Gefahr. 
Er ist eine natürlichen Erscheinung für die körperliche Manifestation in der Zeit. Ein Übergang.
Das dritte Mysterium des Lebens – nach Geburt und Liebe. 
Entseelung und Geistlosigkeit dagegen sind für das schöpferische Leben viel gefährlicher.
Denn durch Angstviren und gesteuerte Phobien wird die freie, einigende Lebenskraft aus der Mitte des Herzens in feindliche Blöcke abgesaugt. 
Die lebensfreundliche ganzheitliche Ying-Yan Bewegung wird in ein hässliches Freund-Feind-Muster, mit einer lächerlich-grausamen Mauer dazwischen, gespalten.

Früh-Werk.
Zwischen Traum und Wachen fand ich mich im Atelier, um mit dem heutigen Werkbuch zu beginnen. Auf die Uhr schaue ich heute lieber nicht. Es ist einfach Zeit.

Die Zentralperspektive

Zentralperspekrive. Zeinung, 40 x 40 cm. 2018

Wirklichkeit und Vorstellung
Die Frage: was ist Wirklichkeit, was Vorstellung, und wie sie zusammen wirken, ist so alt und aktuell wie das Bewusstsein selbst.
Denn es ist lebenswichtig zwischen Einbildung und Wirklichkeit unterscheiden zu lernen. Einfach ist das nicht, sondern mindestens zweifach, und ist das überhaupt möglich?

Die Wirklichkeit ist das komplexe Ganzes. Meine (und deine) Vorstellungskraft konstruiert unablässig aus den vielen Sinnes-Daten ihre jeweils eigene Realität und richtet sich danach. Sie handelt daraus und schafft somit Tatsachen.

Viele Personen können viele verschiedenen Realitäten in ein- und derselben Wirklichkeit nebeneinander erleben. Alle deuten sie aus ihrer jeweiligen Realtiätssicht. Und alle haben deshalb aus ihrer Perspektive heraus recht. (Die Deutungsperspektive hoffe ich im morgigen, Werktagebuchblog vertiefen zu können.)

In der Natur ist die Sache anschaulich. Im einen gestaltlosen Energie-Licht-Raum entfaltet sich die Vielfalt der Gestalten. Nichts fällt dabei aus dem Sein. In der menschlichen Welt beansprucht die jeweilige Einzelsicht das Ganze für sich. Das gibt Probleme, wie wir wissen.

Licht und Dinge. Mischtechnik auf Leinwand. 40 x 50 cm. 1990.


Brunelleschi und die Entdeckung der Perspektive
Deshalb war die Entdeckung der Zentralperspektive so umwälzend. Da gab es eine einheitliche An-Sicht die für alle gleich richtig war.

Als Brunelleschi 1420 die Zentral-Perspektive erfand, schuf er damit eine Möglichkeit, den dreidimensionalen Raum objektiv zu erfassen und darzustellen. Das eröffnete den Raum als Gegenüber.
Davor wurde der Raum als organischer, einheitlicher Innenraum erlebt, eine Art Uterus, von guten und bösen Geistern bewohnt.

Das Weltbild war magisch und mystisch geprägt, bevor es, mit der Trennung von Subjekt und Objekt in der Renaissance, im perspektivischen Welt-Raum-Bild als Ichbewusstes Individuum, wie die schöne Venus von Botticelli, das Licht der Welt erblickte.

Nationalgalerie Foto: A.B.



Jan Gebser hat das meisterlich durchleuchtet und beschrieben.

Jan Gebser. (1905-1973) Ursprung und Gegenwart, geschrieben 1948-49 und 1951-52. Dieses Buch, begonnen in meinem Geburtsjahr, ist eines der maßgeblichsten Werke die mir begegnet sind. Ich hatte es bereits bei meiner ersten Reise, 1973 nach Indien, dabei. Jan Gebser selbst war in Pondicherry gewesen und hatte Kontakt zum Werk von Sri Aurobindos und seinem „Integralen Yoga“.  

Arbeitsplatz mit Jan Gebser: „Ursprung und Gegenwart“ 2020

Erlebnis Fluchtpunkt-Standpunkt
Anleitung.
Um die Zentralperspektive zu erleben – was ziemlich spannend ist – kannst du, auch zu zweit natürlich, ein einfaches Experiment machen.
Schaue im rechtwinkligen Raum auf eine Wand die dir gegenüber liegt, und fixiere mit deinen Augen exakt den gegenüber liegenden Punkt.
Markiere ihn.
Zurück am Standpunkt halte ein Lineal so vor dich, ein Auge bleibt geschlossen, dass du Decken und den Fussboden damit verlängern kannst.
Du wirst sehen: alle Linien treffen sich exakt in diesem Punkt, deinem Auge gegenüber. So tickt und klickt jede Kamera. Doch du kannst es erleben.

Dieser Punkt wird Fluchtpunkt genannt. Er ist deinem Standpunkt exakt gegenüber.

Auf der zweidimensionalen Zeichnung sind sie deckungsgleich.
Auf der Fläche lassen sich mehrdimensionale Figuren und Räume erzeugen, auch die sogeannten Kippfiguren, die mich schon früh faszinieren.

ABUCT. Öl auf Leinwand. 60 x 80 cm. 1968.

In der dreidimensionalen Realität öffnet sich zwischen Fluchtpunkt und Standpunkt der Raum. Er verändert mit jeder deiner Bewegungen seine Koordinaten.
Die Postion der Augenhöhe bestimmt den Horizont.
Das ist heute alles gewohnt und selbstverständlich. Doch es war ein gewaltiger Schritt auf dem Weg zwischen Vorstellung und Wirklichkeit unterscheiden zu lernen und deren Zusammenwirken zu erkunden.

Horizont – Standpunkt – Fluchtpunkt
Im Sprachgebrauch ist die Perspektive fest verankert.
Etwa: wenn wir einen „objektiven Standpunkt“ einnehmen um „unseren Horizont zu erweitern“ damit wir „die Perspektive wechseln“ können. 

Auch das Kameraobjektiv ist ein Produkt der Perspektive.

Camera obscura.
Doch lange zuvor war die Camera obscrua, Vorläufer der Fotografie, bekannt.
Im Licht selbst ist das Bild der Außenwelt enthalten und wird sichtbar, wenn es durch ein kleines Loch in einem dunklen Raum auf die gegenüberliegenden Wand fällt. Dort erscheint es verkehrt herum.
Wie bei unserm Sehvorgang auch. Das Gehirn stellt das Bild vom Kopf auf die Füsse.

Weiter tiefer höher schneller
Immer neue Ansichten  durch die visuellen Medien eröffneten ungesehene Diemsionen. So sehen wir die Erde von Außen, können uns selbst filmen und von außen sehen, werden per Selfie zum Objekt unserer selbst.
Auch die Schiffe wurden immer schneller. Die Flugzeuge begannen ihre Linien im Himmel zu ziehen. Die visuellen Medien, vor allem das „Fern-Sehen“ brachte die Welt da draußen mit unzähligen Vorstellungen heim.

Der sehnsuchtsvolle Fernblick schaut per Teleskop ins Weltall – zurück – und per Mikroskop hinab bis zu den Atomen. Immer neue Ansichten durch visuellen Medien eröffneten ungesehene Dimensionen.

Die technische Revolution erfand und entwickelte immer feinere Instrumente um den Horizont zu erweitern und den Fluchtpunkt immer weiter hinaus zu verlagern, und damit immer größer Zwischenräume zu erzeugen die es zu füllen galt. Wenn schon nicht mit Sinn, so doch mit Zahlen, und ja: wunderbaren Bildern.

Besonders faszinierend ist für mich, dass sich in der Perspektive mit drei Punkten in der Mitte des Dreiecks ein Würfel ergibt, dessen geometrische Grundfigur der Sechsstern ist, der sich auch in der Natur prächtig zeigt.

Perspektive. Mischtechnik auf grundiertem Tuch. 1985.
universeller Schlüssel. Zeichnung. 30 x 30 cm. 2008.
Blüten-Klang-Figur. 60 x 80 cm. Mischtechnik auf grundiertem Tuch. 2005.

Der schöpferische Zwischenraum
Im schöpferischen Zwischenraum zwischen zwei Menschen bildet sich durch die „Sehstrahlen“ ein Projektionsraum in dessen Mitte ein „zu Hause“ gebaut werden kann in dem auch das Vertikale wohnt.
Ein „zu Hause“ mit Tempel und Werkstatt. Daran bauen wir im KUNST KLOSTER art research. Es muss auf Datenfluten auch schwimmen können.

Dialog als schöpferisches Prinzip. Zeichnung 20 x 20 cm. 2004.


Kopernikansiche Wende
Vor der Kopernikanischen Wende im 16. Jahrh. war die Erde der Mittelpunkt des Alls. (Jedenfalls im Abendland.)

Galilei Galileo (1564-1641) und Johannes Keppler (1571-1630) „schubsten“ sie aus dem Zentrum, weil diese Vorstellung, dieses geozentrische Weltbild nicht den beweisbaren Tatsachen mehr entsprach. Sie bestätigen das heliozentrische Weltbild, und verändern durch die neu erkannte Wirklichkeit die bis dahin geltende vorgestellte Realität in der sich ganze viele Gernertionen häuslich eingerichtet hatten.
Nicht die Erde, die Sonne ist der Mittelpunkt um den die Planten kreisen. Der Horizont erweiterte sich. Die bis dahin als flach geltende Erde: Himmel oben: Hölle unten, wurde als Kugel erkannt, die haltlos im leerem Raum schwebt. Nicht ganz haltlos, denn der gläubige, gelehrte Johannes Kepler schenkte die grandiose Harmonie der Sphären hinzu, und erweiterte damit auch die Dimension der göttlich-intelligenten Schöpfung.
Das war eine gewaltige Revolution.
An vielen Orten ging es weiter.


1492 entdeckte Christoph Kolumbus Amerika, auf dem Weg nach Indien.
Der Raum zwischen Standpunkt und Fluchtpunkt dehnte sich immer weiter aus. Schwierig war es, die Kommunikation dazwischen zu halten. Eine neue Aufgabe. Aus den Experimenten mit Magnetismus und Elektrizität entwickelten sich Kommuniktationstechniken die den Raum körperlos überwinden konnten. Morsezeichen, ab 1840 das Telefon. 
Doch auch die Körper lernten fliegen. Der erste Nonstop-Atlantiküberquerung per Flugzeug gelang 1919 durch John Alcock.
Auch die bald motorisierten Schiffe wurden immer schneller und gröber und größer und größer…..

Die Strecke
Eisenbahnen und Auto-Mobile für den Raum dazwischen, sind die größten Wirtschaftzweige der Neuzeit. Und Verkehrswege, Schienennetze, Straßennetze, die größten Bauwerke der Neuzeit:
Unsichtbar überspannen Kommunikationsnetze die Erde und den erdnahen Weltraum.

Film
1888 lernen die Bilder körperloen „laufen“. Bald rannten sie, liefen über, denn sie konnten sich speichern und reproduzieren, und füllen unvorstellbare Datenozeane. Heute simulieren sie eigene Realitäten in 3-D.


Angekommen
Die Erde ist rund, und der Kopf auch.
Die Avantgarde ist so rasch vorangesprescht, dass sie jetzt von hinten ihre letzten Nachzügler eigeholt, von denen niemand weiß ob diese nicht vielleicht die neue Avantgarde sind?


Stillstand

Die abenteuerliche Eroberung des Raumes, vor 500 Jahren begonnen in der Renaissance, kommt mit dem Internet an ihr vorläufiges Ziel.
Sie flutet nun aus den Bildschirmen über Augen, Ohren und tippende, wischende Handbewegungen in das subjektive Wahrnehmungs-System.
Alles was in Sprache, Bild und Ton übersetzt werden kann ist abrufbar: zu Hause. Niemand muss mehr vor die Tür. Die Erde kommt in ihre ganzen Rundung flach auf dem Bildschirm an.

Wirklichkeit. Skizze. 8 x 15 cm. 2003.

Überschwemmt sie das feine, subjektive Gespür für wahr und falsch, weil alles auf der selben perfekten Oberfläche erscheint. „Objektiv“, von Außen kommend?

Lässt sich die feine innere Klugheit verunsichern? In Frage stellen? Wann nimmt es die smarten Angebote des Smartphones an, sich mehr und mehr nach dem personalen Datenprofil zu richten das es von mir errechnet hat?
Gegen diese immer feiner auf die Person zu geschneiderten Algorithmen wirken selbst die modernsten Flugzeugflotten wie schöne Flug-Sauriere aus einer schon vergangenen Zeit. Tauglich eben noch für Grobtransoporte.

Und das sie nur der Anfang. Visionäre in Silicon Vally träumen davon, alle menschlichen Gehirne zu einem Großhirn zusammen zu koppeln, um mit dessen Leistung, plus der künstlichen Intelligenz einen neuen evolutionären, kollektiven Schritt zu tun.

Lässt dieser Weltbild-Bild-Entwurf noch Zwischenraum für einen Tempel im Herzen dessen Schlüsselwort „DU“ lautet?

Mir scheint: jetzt gilt es zu tun was im Tiefsten als wahr und heilsam erkannt wird. Unter allen Umständen.

Morgen wird dieser Blog mit der Seinsperspektive und der „Künstlerischen Intelligenz“ den Abschluss bilden.

Jetzt ist Zwischenlandung und nährende Rast angesagt an diesem schönen Ort.

Werkbuch. Mischtechnik und Blattgold auf Papier. 20 x 20 cm. 2017.