Günsel Ajuga reptans
Wenn im Frühling aus kalten Winterwiesen die winzigen, farbigen Sterne – mit ihren sinnenhaften deutschen, und schönen lateinischen Namen – aufblühen:
- Schneeglöckchen, Galanthus,
- Veilchen, Viola,
- Gänseblümchen, Bellis perennis,
- Schlüsselblumen, Primula veris,
- Männertreu, Lobelia erinus,
- Vergiss-mein-nicht, Myosotis, aufblühen ( … und alsbald Rasenmäher diese himmlischen Teppiche rasieren … ), erscheint auch der
- Günsel, Ajuga reptans.
- Heilpflanzen allesamt (siehe auch: Die Signatur der Heilpflanzen, von Roger und Hildegard Kalbermatten, atVERLAG).
Wie jedes Jahr sind sie mir Augentrost Euphrasia und Rätsel zugleich.
Woher stammen diese Ordnungen, diese wundervoll reiche Differenz in Farben und Form auf so kleinem Raum?
Wie könnte ein „Big Bang“ – mit evolutionärem Zufallsgenerator – je so intelligente, schöne Ordnungen erzeugen?
Ich weiß ja inzwischen, durch die kostbaren Studien von Hartmut Warm (Die Signatur der Sphären, Kepplerstern-Verlag), dass die Planeten unsere Sonnesystems geometrische Figuren in den Raum schreiben die sich in Pflanzengestalten widerspiegeln. Dennoch sättigt mich das Wissen allein nicht. Ich muss es erfahren und jährlich frühlingsfrisch erleben: durchs Zeichnen, durch die tätige Anschauung.
Neulich las ich einen Roman von Peter Bieri (Pascal Mercier): „Das Gewicht der Worte“, bei dem es um Übersetzungen in andere Sprachen ging, um die Fähigkeit nicht nur Worte auszuwechseln sondern auch Atmosphären zu übertragen. Die Natur erscheint mir ebenfalls wie eine (vertraute) Fremd-Sprache. Sie spricht in Gestalten die dem begreifenden Verstand früh schon zu wiedererkennbaren Gewohnheiten werden. (Wiedererkennen wird dann automatisch mit Erkenntnis gleichgesetzt.)
Doch je öfter ich diese Zyklen der Jahreszeiten erlebe, desto mehr wird mir die Wiederkehr des scheinbar Gleichen, diese rhythmische Zuverlässigkeit – auch angesichts all der hektisch nach vorne purzelnden Turbulenzen und Unsicherheiten menschengemachter Systeme – zur grandiosen Lehre in Stetigkeit – Zuversicht & Vertrauen, inspiriert vom Licht der Sonne, gehalten und gespeist vom nährenden Dunkel der Erde.
Ich muss die sichtbaren Gestalten gestalten, mit den Händen erkunden, um durch das Vorwissen, Einordnen und Benennen hindurch, zum unbekannten Wesen zu gelangen. Ich nehme das rätselhaft Fremde im Vertrauen wie ein Unsichtbares wahr und will mich diesem Zauber nähern.
Nicht gleich in einem schwungvollen hui, mit ein paar genialistisch anmutenden Pinselstrichen in Aquarell, (das darf später folgen), sondern behutsam wie ein Ornithologe, der sich scheuen Vögeln nähert.
Du kannst so eine Pflanze nicht einfach pflücken, ins Wasser stellen und abzeichnen, darum geht es ja bei der Übersetzung nicht, sondern du willst ihren Sinn erspüren, ihre Architektur erkennen, ihre, im Goldenen Schnitt aufgebaute Pagoden sehen lernen, die, in präziserer Kreuzordnung, ins Vertikale emporsteigen.
Dann wirst du erkennen, dass das keine harmlosen Blümchen sind sondern visuelle Klangkörper. Feine kosmische Membrane. Was empfangen sie aus dem Weltraum, was senden sie von der Erde hinaus?
So übersetze ich zeichnend diese wundervolle hochentwickelten Sensoren der Kommunikation zwischen Erde und Kosmos ins Bild