29. März 2020. Werktagebuch. Corona – und was es sonst noch gibt. Teil vier.

Zwei Uhr Morgens. 

KUNST KLOSTER art research

Nach einem intensivem Traum bin ich in diesen Sonntag, den 29. März 2020 hinein erwacht. Zeitumstellung. Die Sonne, die Tiere, die ganze Natur ist davon unbeeindruckt. Doch wir Menschen manipulieren unseren natürlichen Lebensrhythmus … damit es abends länger hell sei. Ist das klug? Würde das ein Kind vorschlagen, wir würden wahrscheinlich lachen über diesen Selbstbetrug. 

So aber schrauben wir „homo faberisch“ an der Wirklichkeit und schaffen uns eine unnatürliche kollektive Realität. Vor allem die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern hatten darunter zu leiden. Da sie derzeit keine Schule haben fällt das wohl diesmal etwas milder aus. 

Wenigstens ein positiver Nebenabspekt der momentan viel gravierenderen Einschränkungen. 

Jedenfalls erlebe ich jetzt wach und bewußt dass eine Stunde plötzlich verschwindet. Die Uhr springt von 1 Uhr auf 3 Uhr. Wo ist sie hin? Momo weiß es. Die Stunde ist auf der Zeitsparkasse.

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Es ist vollkommen still im „KUNST KLOSTER art research“. Langsam klingt die Traumwirklichkeit aus. Ich bin mit einer feinen Tasse Darling Tee in der Morgengedanken-Werkstatt. 

Da wartet noch eine fundamentale Sprachskulptur an der ich seit Tagen dran bin. Ob sie heute fertig wird?

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Die Macht der Imagination. Die Wirkung der Vorstellungskraft beschäftigt mich weiterhin, denn sie ist schöpferisch. Das wird von mir per se positiv gesehen. Doch entspricht das der Wirklichkeit, oder wage ich den Blick nicht dorthin zu richten, wo es dunkel, und nicht schön ist? Das wären natürlch, denn da kommt der Blick nicht hin, das muss ich tasten und lauschen. Eine Schönheit ohne das Dunkle hat keine Kraft. Es gehört zu den Wurzelkräften unterhalt des lichten Bewusstseins und soll nicht verdrängt werden. Dieser tiefdunkle Bass gehört auch zum Bast.

Also frisch hinein – mit dem schwachen Licht meiner Gedanken – in die Dunkelkammer meines Körpers, in dem das Gehirn schwimmt und die blitzenden Neuronen und feuernden Synapsen meine Hände bewegen, die in den Computer tippen. Auf dem, im Dunkel leuchtenden Bildschirm, werden die einzelnen Buchstaben vielleicht nach und nach zu einem sinnvollen, kommunizierbaren, mittteilbaren Ganzen. Mal sehen. 

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Bild

Im gestrigen Text gab es zwei Hauptgedanken:

DER WEG IST SCHÖPFERISCH – ER BILDET SICH IM GEHEN und: „Komm! ins Offene Freund!“

Dieses große, schöne Wort Hölderlins weist auf die lichte Seite der Imagination. Doch Hölderlin kannte auch die andere, die dunkle.

Wer kennt sie nicht? Etwa wenn die Vorstellungskraft sich zu einer fixen Idee verdichtet und die Wirklichkeit komplett davon absaugt wird. 

Es gibt die zwei Tendenzen des Schöpferischen. Die lichte Seite braucht die eigene bewusste Gestaltungs-Arbeit mit ihrer Anstrengung und ihrer Freude, die dunkle geht ins Wurzel-Werk, ins Unbewusste . Oft sucht es uns ungebeten unheimlich heim. Es bewohnt uns als Gewohnheiten, als Krankheiten, aber auch als alltägliche Projektion-Suggestion-Dynamik.

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Was damit gemeint ist hat Paul Watzlawick in seiner berühmtem Geschichte mit dem Hammer formuliert. Die meisten kennen sie. Sie sei nochmals kurz vorgestellt. 

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer“.
(aus P. Watzlawick: Anleitung zum unglücklich sein.)

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Solche Projektionen-Suggestionen können von uns auf andere geschehen, und von andern auf uns. Sie können massiv von außen kommen und wir können sie massiv äußern. Watzlawick hat noch viele Beispiele auf Lager. Den Ernst der Lage zeigt er mit Humor auf.

Risikogruppe

Aktuell gehöre ich zum Beispiel plötzlich einer „betreuungswürdigen „Riskiogruppe“ an. Warum? Weil ich alt bin. Ist das eine projektive Suggestion? Risiko? Vor was dann? 

Achsoja: die Wahr-schein-lich-keit ist hoch, dass ich früher sterben werde als vor 30 Jahren. Hmmm. Das ist statistisch gewiss. Tja-aber … naiv gefragt: ist das nicht natürlich? 

Alte werden eher krank, wenn dieser wundervolle Körper in seinen Kräften im Zeitverlauf nachlässt. Einem Körper, den wir, nebenbei erinnert, nicht gemacht haben, sondern den die Natur in unvorstellbaren Zeiträumen ausgebildet hat. Wir werden schwächer, weil beispielsweise das Herz, das täglich etwa 100 000 mal schlägt und dabei 10 Tonnen Blut durch die Adern bewegt, irgendwann nachlässt und an sein Ende kommt. 

Das Alter ist keine Krankheit sondern eine Lebensphase. Die letzte. Und dann?

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Ich durfte die letzte Stunde bei zwei Sterbenden erleben. Bei meinem Vater und einem lieben Freund. Ihren Tod erlebte ich nicht als „Vernichtung“ als „Aus“. 

Das Leben wich aus dem Körper in eine für die Sinne unzugängliche Raum-Zeit-Diemsion. Das war ein heiliger Moment, ein Mysterium – wie die Geburt. Beides mal konnte ich „einsehen“ dass das Leben nicht stirbt, sondern sich aus der verkörperten Gestalt entfernt die es zuvor gebildet hat. Diese Einsicht war keine Wunschprojektion von mir, keine lächerliche Maske die sich vor die natürliche Trauer und die tiefe Erschütterung, gegenüber diesem unfasslichen Vorgang, schiebt. 

Muss das Sterben eine Katastrophe, ein verlorener Kampf sein? Das Risiko ist groß es so zu sehen.

Ich gehöre zur Risikogruppe. 

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Ja, ich will das Risiko wagen bewußt in diese letzte Rundung zu gehen. 

Ich wende mich dieser letzten Lebensphase und dem Mysterium Tod als etwas Heiligem zu.
In meiner Kultur wird der Tod weitgehend wie ein bodenloser, angstbesetzter Abgrund gedeutet, und wird fälschlicherweise mit Vernichtung gleichgesetzt.
Heilig? Was gibt es für ein anderes Wort dafür, als dieses, wie alle hohen Wörter so oft missbrauchte? 

Diese Risikobereitschaft bewirkt jedoch keine Fixierung auf das Ende. Keine vorsorgliche Angststarre, keine Verlustangst, sondern ganz im Gegenteil. 

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Es ist eine Lebensfreude darin, eine Dankbarkeit mit hohem Nährwert für Körper Geist und Seele. Der Blick ist auf das Leben gerichtet, das alle Formen hervorbringt und selbst doch formlos bleibt. So wie das Licht farblos ist obwohl es alle Farben herbringt.

Die Natur sagt in ihrer Gestalt-Sprache: Es gibt einen Wechsel der Formen die sich wandeln. Vom Blühen, Befruchten bis zum Reifen. Reife Früchte fallen. Sie sind nahrhaft und tragen die Zukunft als Kerne in sich. 

Und im nächsten Frühling treiben die Knospen, und es keimt Zukunft aus verfaulter Frucht. 

Da brauche ich nicht an Inkarnation zu glauben. Jeder Quitten- und Apfelbaum lehrt dieses offenbare Geheimnis.

Es ist gut, in solchen Krisen-Zeiten, wer das kann, Apfel- oder Quittenbäumchen und Gemüse anzupflanzen, auch im Gedankengarten, in dem das Danken wie frisches Wasser wirkt. Es ist gut, freundlich zu den Nachbarn zu sein, (und zu sich selbst), selbst wenn man meint, dass er einem seinen Hammer zum Bilder aufhängen nicht geben will. 

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Und nochmals gesagt: es ist erbaulich sich bewusst zu machen, dass der eigene Körper kein Machwerk ist, sondern ein wunderbares Instrument, in dem ein handelndes schöpferisches Ich wohnt, das erheblichen Einfluss hat auf das was mit und in diesem Körper gespielt wird. Das kann eine übernommene, fremdbestimmte Rolle von allgemeinen Vorstellungen sein. Doch das bewußte Ich kann auch seine eigene Geschichte schreiben der Regisseur im eignen Leben sein. Beziehungsreich eigebettet in einen komplexen Chor , wo es seine Melodie einspeisen kann. Das verlangt feinjustierte, tägliche Arbeit am inneren Arbeitsplatz. Sie belebt auf jeden Fall. Wie das Herz.

Hölderin lebt. Beethoven lebt. Bach lebt. Rilke lebt. Und all die Andern deren Namen nicht Schall und Rauch, sondern Klang und Licht ist – sie leben! Ihre Werke, die sie in während ihrer verkörperten Lebenszeit geschaffen haben, wirken nähend weiter. Auch Mutter, Vater, verstorbene Freunde leben. Nicht nur im mir, sondern im Leben selbst. Dem einen Leben mit seinen drei Mysterien: Geburt-Liebe-Tod.

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Die Frage in meiner Risiko-Lebensphase stellt sich: Entspricht meine Existenz wenigstens in gewissen Handlungen den universellen Lebensgesetzen woraus sie selbst natürlich gründet? 

Wieviel enger Egoismus, wieviel „ I am fist“, hat das Offene „You are first“ überblendet? Wieviel vom warm pulsierenden Herz-Gold des Lebens habe Ich für ein vergebliches Ich-Überleben geopfert, und es dem großen Leben mit billiger Münze heimgezahlt? 

Die Frage, ob ich meine Geschenke und Anlagen entwickelt habe wird sicher in anderer Instanz und nicht von mir selbst beurteilt werden.

Werkgruppe: Die dunkle Seite des Lichts. Mischtechnik auf handgeschöpftem Bütten. 1999.

Ein neuer Tag beginnt. Beschnitten um eine Stunde.

Genug geschmiedet für heute in der Gedanken-Werkstatt. Es ist viel geworden. Es musste ja doch auch auch ein stabiles Wurzel-Werk werden. Ein Werk das die Angst aus dem Dunkel filtert und sie behutsam entschärft, um an die kostbaren Nährstoffe zu gelangen.

Grundierung

Im Atelier zeichnete ich gestern eine Hortensie die ihre ersten Blättern entfaltet und grundierte eine weitere Leinwand für die „Indien-Bilder.

Das Motiv im Universal-Notizbuch stammt vom 8. März 2018.

8. März 2018

Der Text lautet: 

EIN PROJEKT DES ALTERS SCHEINT MIR, IST DIE NACH AUSSEN STRAHLENDE JUNGEND IN INNIGE KERNKRAFT ZU WANDELN.

Sonntagsmaler will ich heute sein, und daran weiter arbeiten.

Mit guten Wünschen und herzlichen Sonntagsgrüßen 

Alfred (Bast)