25. April. Werktagebuch.

Nacht-Klang. Farbstift auf grundierter Leinwand. 150 x 150 cm. 1995.

Guten Morgen! in diesen Samstag.

Die Entsprechung zum meist wolkenlosen Blau des Tages ist der klare Nachthimmel. Es gibt heute – nach dem starken Rot – im Folgenden eine ART-Nachtwanderung.


Nachthimmel

Pawel Florenski, (1882-1937) ein genialer russischer Religionsphilosoph, Theologe, Mathematiker und Kunstwissenschaftler, von dem ich über die geistige Bedeutung zu Ikonen maßgebliches lernte, schrieb aus Sibirien (wohin ihn Stalin verbannte) an seine Kinder. 

Ich zitiere aus der Erinnerung.
„Wenn ihr Kummer habt und nicht weiter wisst, versenkt euch in den Nachthimmel“

Sieben-Jahres-Projekt, mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Buch 17. Mischtechnik auf Papier. 14,5 x 19,0 cm.


Sternschnuppen

In der  Nacht vom 21. auf 22. April waren viele Sternschnuppen angekündigt. Also legte ich mich, warm eingewickelt, auf eine Bank und schaute erwartungsvoll in den Nachthimmel. 

Der Nachthimmel bietet dem zielsuchenden Blick zugleich zwei Optionen. Leuchtende Sterne und ein gewaltiges leeres Dunkel dazwischen. Ich „weiß“ es gibt die unbegrenzte Leere des Weltalls. Doch ich empfinde diese auch als eine Art Dunkel-Körper. 

Auch im Kleinen wird diese Leere gewusst und gemessen.

Atome
Die Atome, aus denen alles ist, sind im Wesentlichen leerer Raum, ein Vakuum von 99,9 Prozent, darin zucken und zittern ein paar Teilchen.

Wäre ein Atom so groß wie ein Sportstadion, entspräche der Kern einer Erbse in der Mitte des Rasens; die Elektronen, zehntausendmal kleiner, kreisten auf der Tribüne. (Zeit online, 2009, Ausgabe 44)

Meine Augen, ebenfalls aus solchen Atomen gebildet schauen durch seine zwei schwarzen, offenen Pupillen – gewissermaßen von Leere zu Leere – in das unfassbar großes Wesen, dessen leuchtende Sterne einzelne Atome oder Zellen sein können in einem unvorstellbar großen Körper. 

Lichtbewusst
Schaut das Wesen zurück?
Sieht das Licht das ich sehe auch mich? Gibt es da Bewusstsein, ist Licht bewußt? Ich erwarte keine Ja-Nein-Antwort.


Nacht-Gedanken

Allein, diese „Nacht-Frage“ eröffnet eine potenzielle, schöpferische Möglichkeit, jene heute übliche Sichtweise, eines grenzenlosen, sinnlosen Universums, sanft und bestimmt aufzubrechen.

Dieser umfassenderen, noch größeren, und zugleich innigeren Dimension, kann sich die Vorstellung zuwenden, und samenhaltige, schwingende Nachtgedanken in die potenzielle Leere absenden.

Werkgruppe Heard in Brain. Computerzeichnungen. Nacht-denken. 1999.


Ich „weiss“ dass meine Imaginatioskraft die hochkomplexe Wirklichkeit auf eine, meinem persönlichen Zustand entsprechende Sichtweise reduziert, die ich dann als Realität erlebe, aus der ich reagiere und handle.
Wie sieht aber das aus was ich aufgrund der Wahrnehmungs-Selektion nicht sehe? Der Nachthimmel kann dafür den Blick öffnen.

AußenInnen
Schaue ich in mein Gehirn? Denn diesen unfassbar großen Sternenraum realisiere ich ja in mir. Genauer: ich „sehe“ meine Informationen darüber. Sie konstruieren aus dem Nachthimmel-Anblick ein endloses Universum.

Vor tausend Jahren hätte ich denselben Nachthimmel betrachtet, und diese kleinen Lichtpunkte, die Sterne, als Löcher in Dunkel eines nächtlichen Mantels der die Erde umhüllt, sehen können.
Dahinter würde das göttliche Auge – die Sonne – in ewigem Licht leuchten.

Ur-Sprung
Diese historisch-kindliche Sichtweise mag ich noch immer, und kann sie spielerisch aufrufen. Und wahrscheinlich kommt von dorther die Frage: ist Licht bewußt?
Ich bin offenbar noch nicht ganz im heutigen wissenschaftlich-technischen Weltbild angekommen. Es gibt noch Lücken.

˝Werkgruppe: Herz-Feld. Bild 3. Mischtechnik auf Bütten. 60 x 80 cm. 1997.

Doch bin ich glücklicherweise Heutiger genug um um die Leere des Raumes, und die Lichtgeschwindigkeit als Zeitgrenze zu wissen. Und ich weiß auch, dass die Teleskope, diese verlängerten Augen – immer tiefer in die Vergangenheit blicken, je weiter sie zu schauen vermögen. Sie nähern sich dem singulären Ereignis des Ursprungs. Grandios!

Ur-Knall
Dieses singuläre Ereignis des Ursprungs war jedoch gewiss kein „Ur-Knall. Denn es gab weder Raum noch Schall oder Ohren.
Der „Ur-Knall“, als Bezeichnung für den rätselhaften Beginn des Alls – also von Allem – ist eine, aus meiner Sicht, etwas fantasielos-profane Deutung aus moderner Zeit, in der sich ihr eigener explosiv-krachender Charakter widerspiegelt.

Mir sagt es nach-wie-vor mehr zu, an den Anfang DAS SCHÖPFERISCHE WORT zu setzen (in welcher Sprache auch immer), oder bildlich: das WELTEN-EI, denn darin sind auch Herz und Geist anwesend.

Werkgruppe: Heard in Brain. Computerzeichnungen. 2001.

Der Blick in den Nachthimmel, und das Wissen um die Leere, löst eine Resonanz in mir aus.
Alle sternartig leuchtenden Aktionspunkte und Verbindungen in meinem Gehirn (Gemüt) kommen zur Ruhe, gelangen in ein still-geborgenes Schweigen, wie die Fixsterne dort am Nachthimmel, die mein Zeitempfinden aufheben.

Ich kann diese Empfingen gestalten. Suche nicht nach objektiver Gültigkeit und Gewissheit, sondern schlüpfe durch eine Lücke meines Nichtwissens hinaus und tauche, im tiefen Brunnen der Bilder, nach Entsprechungen.

Ur-Bild
Ich lade aus den vielen möglichen Sichtweisen das Ur-Bild vom mütterlichen Unbewussten – in dem sich Ursprung und Ziel umarmen – in meine aktuelle bewusste Gegenwart ein.
Es fühlt sich stimmig an. Irgendwie warm.

ERDEnken. Mischtechnik auf handgeschöpftes Bütten. 60 x 80 cm. 2000.

Eiskalt
Klar, mein physischer Körper würde in der etwa 270-Grad-Celsius-Kälte dort draußen nicht einen Moment leben können.
Doch die Tatsache, dass das Weltall für den physischen Körper kalt und tödlich ist, muss für Seele und Geist nicht gelten.
Offenbar können beide, im irischen Körper auf der Erde geborgen, auf einer Bank liegend, imaginierend und empfindend im Nachthimmel unterwegs sein ohne zu erfrieren.
Und die Erde selbst? Was denkt sie, was fühlt sie? Friert sie, oder wird es ihr eher zu warm?

Vorstellung
Setzen sich meine Vorstellungen auch aus Atomen zusammen?
Oder sind die Vorstellungsprozesse die Musik, und bestimmte Atome das Instrument dafür? Oder der Text und die Inszenierung einer Theater-Vorstellung für die Protagonisten?

Gold-Schnitt. Mischtechnik und Blattgold. Leinwand geschnitten. 33 x 33 cm. 2018.


Zeichen am Himmel

In solchen Nacht-Gedanken unterwegs, die jetzt hier im Frühwerk – in der Gedanken-Schmiede – in Form gebracht werden, warte ich auf die Sternschnuppen.

Ich hatte schon einen Wunsch bereit. Denn das was man sich wünscht beim Anblick einer Sternschnuppe ginge in Erfüllung, verspricht jener alte Märchenglaube wo es auch Stern-Taler regnen kann, ( … keine Euros!).

Doch es schnuppten keine Sterne.
Stattdessen sah ich staunend eine nicht enden wollende Kette wandernder Leuchtpunkte, die im selben Abstand und in gleicher Geschwindigkeit, den nördlichen Nachthimmel durchquerten. Dann endlich, verschwanden sie wieder aus meinen Blick.

Vom Unerhörten. Mischtechnik auf gerissenem Karton. 50 x 50 cm. 1998

Satelliten
Waren es Flugzeuge? Dafür waren sie zu schnell. Es gab auch keine Geräusche. Das mussten Satelliten sein.
Sie leuchteten ebenso hell wie Fix-Sterne, oder weit entfernte Galaxien.
Das lies sich mit dem bloßen Augen nicht identifizieren. Nur ihre starre Bewegung unterschied sie.

Ich schaue dort nach, wofür sie, wie ich dann las, in die Umlaufbahn geschossen wurden: im Internet. Es sind Satelliten des „Star-Link-Projektes“ von Tesla. 180 seien schon oben. 12000 sollen es werden. Für ein kostengünstiges Breit-Band-Internet.

Gestern Nacht gegen 22 Uhr sah ich wieder so einen eilenden Schwarm leuchtender Punkte im Nachthimmel. Diesmal viel enger beisammen und etwas außer der Reihe.
Bekommen wir einen neuen Schirm der uns von oben „beschirmt“ und uns vor der Weite des „kalten Universums“ schützt? Werden die Lücken bald von oben her geschlossen?


Die Luft ist rein und klar, der Wind hat nachgelassen.
Ich atme. Alles Lebendige atmet. Ich atme bis zu den Zehen den Nachhimmel ein und aus … ein und aus … seine urzeitliche Gegenwart … ein und aus.

Der Augen-Blick verliert sich in der Weite des Dunkel das so zugleich so nah kommt.

Die Ohren übernehmen und loten sie Stille aus.
Sie werden zu den Augen der Nacht.

Frierend bin ich erwacht. Ich war eingeschlafen.

Nacht-Ohr. Mischtechnik auf Bütten. 60 x 80 cm. 2000.

Wie werden meine Enkel den Sternenhimmel sehen bei diesem zu erwartenden Sateliten-Gewimmel?
Und was könnte ich ihnen raten wenn sie in Nöten sind?

Ich werde ihnen sagen, dass sie ihren inneren Himmel Tag und Nacht im Sinn – auf ihrem Schirm – behalten sollen, denn:

DAS INNEN IST SO UNERMESSLICH GROSS, ES HAT IM AUSSEN KEIN FORMAT.

Und ich werde ihnen zeigen, dass die Sterne auch in Blumen wohnen.

Werkgruppe Blüten – Früchte des Lichts. Mischtechnik auf Leinwand. 50 x 50 cm. 2017.

mit herzlichem Morgengruß

Alfred (Bast)