Dienstag 28. April 2020. Werktagebuch

Perspektive Teil eins

Dienstagmorgen 1.30 Uhr.
Zu solch früher Zeit war bis vor kurzen in den Flughäfen der Welt noch reger Verkehr. Ich erinnere die nächtliche Autofahrt von Pondicherry nach Chennai. Nachts um 1:50 Uhr startete der Flieger nach Deutschland. Um 8:25 wäre er im 7581 km weiter entfernten Frankfurt gelandet.
Am 30. April, also Übermorgen, hätte ich die Rückreise angetreten. 
„Raum-Sauger“ nannte ich die Flug-Maschinen. Viele kennen auch die Enge in den Maschinen. Den Luxus-Abstand von 1,50 m gab es damals nur in der ersten Klasse.

Indien. Zeichnung 1993


Das Fliegen ist nicht mehr nötig. Zu Hause, am inneren Arbeistplatz, steht jetzt handliche Reise-Maschine, der Computer, die mich zeitgleich mit allen Orten der Welt verbindet. In Echtzeit.
Auf die Benutzer-Oberfläche braucht der Weltenraum keine räumlich-zeitliche Tiefen-Dimension mehr.

Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Computern, diesen Instrumenten der Neuzeit. Neben den kommunikativen Funktion, kann ich eine Bild-Gedanken-ART komponieren, die so in einem andern Medium nicht möglich ist.

 

Nachtflug. Zeichnung. 1993


Diese Reise-Maschine ist fraglos eine geniale technische Entwicklung. Sie überholt Überschall-Flugzeuge wie der langsame Igel den schnellen Hasen, (… ich nehme an die Geschichte vom Hasen und vom Igel ist dir bekannt. Ein Märchen der Gebrüder Grimm). 

Die Überwindung des Raumes und der Zeit, durch die modernen Kommunikationsmittel und -Wege, ist eine Konsequenz aus dem perspektivischen Weltbild.
Das Internet ist die Aufhebung der Perspektive. Standpunkt und Fluchtpunkt fallen zusammen. Die Gleichzeitigkeit an unterschiedlichen Orten ist real möglich. Wobei die Geschwindigkeit und Masse der Datenübermittlung zunimmt und auf den unveränderlichen Rhythmus seiner Nutzer und deren limitierte Aufnahmefähigkeit trifft. 

Gestern hatte ich das Ding runtergefahren (so lautet der Begriff für ausschalten: … runter fahren.) In einer Tasche nahm ich es mit ins Hohenstadter Atelier.
Ich war schon am Auto,  da bat mich der Gärtner, doch bitte kurz die Hintertür des Hauses aufzumachen damit er an den Wasseranschluss komme zum gießen. 

 

Das Innere der Oberfläche. Fotografie 2018.

 

So ging ich nochmals ins Haus, öffnete die Tür von innen, damit er an den Wasserhahn kommt, und fuhr dann los. Da sah ich im Rückspiegel meine Tasche am Boden liegen. Erschrocken hielt ich an und holte sie. „Glücklicherweise nicht drüber gefahren.“ dachte ich.  Im Atelier allerdings sah ich die Reifenspuren auf der Tasche. Das Auto ist tatsächlich über den Computertasche gerollt.
Einges war gedrückt. Und das Wunderding selbst? Als ich den Computer anschaltete hat alles funktioniert. Er hat dem Druck standgehalten. Respekt! Wenn er sich in seiner Software ebenso stabil gegen Viren erweist … 

Dieses stabile Teil ist also jetzt mit seiner empfindlichen Oberfläche geöffnet.
Ich sitze im home-Cockpit und schaue den Buchstaben zu die sich im leuchtenden Bildschirm wie winzige Perlen auf eine Kette fädeln. Zeile um Zeile.

Bin ich schon starklar zum abheben in den dreiteiligen Gedankenflug in das Wesen der Perspektive?

Denn das wird den Abschluss bilden von meiner imaginären Indien-Ausstellung die über den Blog veröffentlicht wird. Am 30. April wäre ich zurückgeflogen, weil am 30. April auch das Sieben-Jahres-Projekt mit Reclam-Universal-Notizbüchern endet.

Es ist Jetzt schon 8 Uhr.
In das Thema Perspektive – Weltbilder – Selbstbilder werde ich Morgen früh starten.


Einen fleißigen Dienstag wüscht 

Alfred (Bast)

 


 

Welt-Bild. Werkbuch 4. 1972
Welt-Bild. Werkbuch 4. 1972