Berliner Notizen und Skizzen

Berliner Notizen 12. und 13.2.2019

 

…Momentan interessiere ich mich wieder für Portraits.

Vielleicht, weil dieses Rätsel des Einmaligen, Persönlichen auf dem Hintergrund der rasant voranschreitenden Digitalisierung, die unser Sein in Algorithmen überführt, die uns dann von außen als Daten, Statistiken und Zahlen entgegen blinken, so etwas ist wie die natürliche Besinnung auf das was ist – auf DAS DASEIN – sein könnte, das uns unbewusst ist, wie alles Selbstverständliche?

Oder weil es faszinierend ist wie sich das allgemein Gültige, das Kollektive und Gemeinsame letztlich doch in einer ganz einmaligen speziellen Person zeigt und abspielt? Mich interessiert dabei nicht der „Typ“, noch weniger die Karikatur, sondern das Unvergleichliche.

 

Ich genieße die Anonymität. Das Hier-Sein unter Menschen. Fremd. Wie in Indien. Gehe drei Stunden zu Fuß. Einkaufen. In einem Nagel-Studio in der Zossener Straße, von Vietnamesen betrieben die viel reden und lustig sind, lasse ich mir die Fußnägel schneiden und die Fingernägel. Dreißig Euro. Eine wohltuende Prozedur. Obgleich die Frau die das macht Füße und Hände wie Schuhe behandelt. Gründlich, aber alles andere als persönlich, was aber genau richtig ist. Ich staune wieviele feine Abstufungen von Rot es bei den Nagellacken gibt. Doch ich entscheide mit für den Naturton.

Auf dem Rückweg im Gewühle vieler Passanten sehe ich eine junge Frau mit Mantel, Schal und mit blauer Mütze, mitten auf dem breiten Gehweg völlig still stehen. Hingebungsvoll der Wintersonnen zugewandt.
Ein überraschend inniges Bild. Als würde jemand ganz wo anders sein und dennoch hier.
Das Bild hat mich erblickt und wollte von mir gesehen werden. Das spürte ich sofort. Ich habe mich über eine gewisse Grenze hinweg gesetzt um es zu fotografieren.
Wie ein frecher Spatz pickte ich das Bild rasch von der Straße auf, ohne die Frau in ihrer Sonnenmeditation zu stören.
Zuvor habe ich mir selbst versichert, dass nur die Freude an diesem Gesicht und dem Ausdruck es ist, also das Bild, das mich dazu bewegt, und dass ich dafür die Legitimation habe, wenn nicht sogar die Pflicht, es auf zu nehmen.

…Heute früh zeichne ich es.

Zeichnen nach dem Sichtbaren ist für mich mitnichten die Verdoppelung der Oberflächen.Das gewöhnliche Sehen sieht immer nur Oberflächen der Umwelt aus der Distanz. Sobald du zu zeichnen beginnst durchbrichst du diese Oberflächen wie ein Schwimmer der ins Wasser springt, mit den Händen voran – und bewegst Dich handelnd und mitgestaltend im Körper der Welt.

7. Jahresprojekt Reclam-Universal-Notizbuch, Buch 37, S.44

 

 

In meiner Berliner Souterrain Höhle hält die Vertikale Zeitachse ein Schläfchen und wartet bis ich komme und sie wecke.

Ich weiß dass ich weiß dass ich nicht weiß, und ich weiß dass das Nicht genau weiß was ich weiß.

Wie eine Laterne trägt sie ihre Sehnsucht vor sich her. Sie will nicht dass ich ihr das klar mache. Sie will die Sehnsucht außerhalb von sich behalten. Wohin sollte sie sonst auch gehen können? Sie hätte kein Ziel.

Was passiert wenn du im Ziel angekommen bist? Es löst sich auf. Es ist sofort weg. Der Weg dahin ist weg und das Ziel ist auch weg.

Weg weg. Ziel weg. Was ist dann da?