Vorbild. Abbild. Sinnbild. Im Atelier 4. Woche 2023.

Notizen aus der Werkstatt

Vorbild. Abbild. Sinnbild.

über Bilden und Denken

Im Atelier sind Malen und Reflektieren wie die beiden Augen die zusammen eine Sache sehen.

Einen nonverbalen bildnerischen Prozess zu reflektieren, und durch seine Beschreibung neue Zusammenhänge zu entdecken, hat sich in den 55 Jahren meiner künstlerischen Forschung als sinnvoll erwiesen, weil dies wiederum inspirierend auf das Malen zurückgewirkt, und so eine schöpferische Wechselwirkung zwischen Bild und Begriff ins Werk setzt.

Reflexion ist selbst ein bildhafter Begriff. Er assoziiert Spieglung, die durch etwas ausgelöst wird, und bedeutet auch Nachdenken und die bewusste Verarbeitung eines Eindrucks. Das Reflektieren setzt reflexartig ein, sobald das Tagesbewussstsein erwacht ist. 

Wenn durch das Malen aus den nonverbalen Tiefen des Unbewussten und Unsichtbaren, oder der nahen Umwelt, etwas Bildliches auftaucht, reagiert der Reflektor augenblicklich darauf. Er beginnt das Bild mit den vorhandenen Kategorien, Erinnerung und Motiven zu analysieren, zu interpretieren und in das Vorhandene einzuordnen. Das ist jedoch nur die eine Funktion. Die andere ist, dass in diesen Eindrücken aus der Umwelt und dem Unbewussten, innere Vermögen, wertvolle Bodenschätze und notwendige Rohstoffe enthalten sind – als Anregung, als Treibstoff, als nährende Denksubstanz, die das reflektierende Bewusstsein gedankenschnell ausfiltert und integriert. 

Dies kann zu weiteren Bildern inspirieren, die, mit dem Reflektierten zusammen, neuartige Synthesen erzeugen.
Das ergibt  einen schöpferischen Kreislauf, einen flow, das heißt: ein strömendes Gelingen, was wie ein nüchterner Rausch erfahren wird. Dabei sind alle Sinne wach und klar. Sie steigern sich zu reflektierenden Sensoren, die wie intelligente Sonden in die Umwelt hinaus, und in den unermesslichen Raum des Unbewussten – ins strömende Herzzentrum der Welt – hinein schauen und lauschen, um von dort weitere nährende Impulse zu empfangen, die eingespeist werden in die fließende Ordnung lebendiger Existenz.

Kurz gesagt: Bilder eröffnen das leidenschaftliche Interesse am Reflektieren, Deuten und Denken. Und eben dies ruft wiederum neue Bilder hervor.

Sprachfindung
Es geht bei den beiden so unterschiedlichen Aspekten des Seins, Bilden und Denken, um ein und dasselbe: um Sprache, um Sprachfindung für jene unbewussten Wahrnehmungen die sich als Ahnungen, Empfindungen und Stimmungen einem reflektierenden Sinn mitteilen.

Reflektieren und Schreiben über dieses innere, intime Geschehen hat nicht zum Ziel die komplexen Wurzelbereiche des dunklen, nährenden Seins ans Bewusstseinslicht zu zerren, um dort alles benennen, vermessen und festpinnen zu wollen, wie bunte Schmetterlinge an Nadeln. Solches Vermessen wäre vermessen. Es geht nicht darum im unbewussten Urwald individueller und kollektiver Psyche scheues oder gefährliches Wild zu jagen, zu erlegen, und als seltene Bild-Trophäe an einer Galeriewand zu platzieren, sondern um den lebendigen Zusammenhang der Gegensätze, und darum, wie dieses Geschehen transparent, fruchtbar und gestaltbar werden kann. Dann verbeißt sich das Denken und Bilden nicht im Streit. Statt dualistischer Parteilichkeit entsteht ein polares, schöpferisches Spannungsfeld.  

Zwei Eins
Wir sehen mit zwei Augen, gehen mit zwei Beinen, handeln mit zwei Händen, leben mit zwei Gehirnhälften, atmen aus- und ein. Es wäre absurd auf dieser Ebene die Frage der konsequenten Wahl für das Eine oder Andere anzuwenden. Sich also entweder für das Ein-oder Ausatmen entscheiden zu sollen, … oder beim Gehen konsequent entweder das rechte oder das linke Bein zu nutzen, … nur mit dem rechten Auge sehen und dem linken Ohr hören zu wollen, … nur die rechte Hand zu nutzen weil die linke die falsche ist und umgekehrt. Der schöpferische flow stagniert dann unmittelbar zu einem unschöpferischen depressiv-aggressiven flop. Es empfiehlt sich dann das Buch von Paul Watzlawick: „Anleitung zum Unglücklichsein“ zu lesen. 

Alleinstellungsmerkmal
Auf der körperlichen Ebene ist es leicht einzusehen, dass es immer um ein wechselvolles Gleichgewicht der Gegensätze geht, ohne die das Leben unmöglich wäre. Doch warum kann uns dieses leibhaftige Vorbild – das wir selber sind – nicht auch Orientierung geben für unsere oft unversöhnlichen Meinungen und Ansichten, die wir nicht in ein organisches Ganzes zu integrieren vermögen in dem alle Teile sinnvoll und notwendig zusammenwirken, wie die Zellen im gesunden Körper? Stattdessen wird das Ganze zertrümmert, der Spiegel zerschlagen und die Buchstücke und Splitter als Alleinstellungsmerkmal vermarktet, aus denen sich wackelig bedrohte Identitäten ergeben. Die linke Hand schlägt dann auf die rechte ein … der rechte Fuss will vorwärts, der linke rückwärts … während die Knie streiken und sich nicht beugen wollen … der Kopf denkt sich das Herz zum Feind … und der Körper selbst wird vom Rechner als Bausatz für Roboter verdaut. 

Zellen
Wir sind, ob wir wollen oder nicht EINE Menschheit auf EINER Erde. So wie jeder einzelne Mensch jeweils ein komplexer Körper mit ca. 75 Billionen Zellen ist. Wie machen das die 75 Millionen Zellen, dass sie jene Einheit ergeben das zu seinem Spiegelbild Ich sagt? Mit künstlicher, oder doch eher mit spiritueller, universeller, also natürlicher Intelligenz?
Wir werden panisch, weil wir auf der Erde nun 8 Milliarden Menschen sind und rechnen uns vor, dass das viel zu eng werden wird. Wir können auch errechnen, dass die schwere Hummel mit ihren kleinen Flügeln nicht fliegen kann.
Sie fliegt dennoch.

Kunst
Die Kunst kennt dieses dennoch, denn sie ist, wie die Natur, auf das offene schöpferische Ganze ausgerichtet, das sich in jedem Detail offenbart. Sie schafft Freiraum, und durch schöpferisches Denken auch jenen Spielraum, worin sich strömende Ordnungen ausbilden und etablieren können. Das Vorbild sind die 85 Milliarden einzelnen Zellen im Gehirn die sich unablässig zu einem variantenreichen Ganzen zusammenfügen, das in der Lage ist die Attraktion eines bemoosten Astes zu bestaunen, ihn malend zu studieren, und dies auch mit Schriftzeichen zum Ausdruck zu bringen weiß.

Oder in einer vertrockneten Blüte einen Kopf, mit stillem Profil, zu sehen, dem sich, wie zufällig, nach einem Jahr eine offene Bewegungsform aus Blattgold zwischen Herz und Nase zugesellt. Das Vorbild sind dabei nicht nur die einzelnen Teile, ist nicht nur der bemooste Ast und sein gemaltes Abbild, sondern das Gehirn selbst, das die Intelligenz des Universums zu spiegeln und im Ich zu reflektieren vermag. Es wird zum Sinnbild für ein hochkomplexes Ganzes, indem jede Zelle kommuniziert, agiert und lebt, von offenen Ganzen getragen und für das offene Ganze sich hingebend.

Im Atelier prägt tanzend das dritte Goldkind die Denkstrukturen des Herzens ins ursprüngliche, lebendige Gewebe ein.