23. April 2020. Werktagebuch

Himmelblau. Fotografie 2020.

Donnerstag 23. April 2020, drei Uhr Morgens.

Guten Morgen,
nach sieben Tagen Veröffentlichungspause geht es weiter mit dem Werktagbuch, mit der virtuellen Ausstellung.

Wo beginnen?
Es ist so vieles zu sagen, zu zeigen.
Worte sind begrenzt und sie werden extrem widersprüchlich verwendet. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Doch Worte können Bilder „impfen“ sodass sie ihre Wirkung erst gar nicht entfalten. Worte sind Kraftwerke.

Das Wort

 „GOTT SCHUF DEN MENSCHEN UND SCHENKTE IHM DAS WORT, WEIL ER DAS BEDÜRFNIS NACH EINEM GESPRÄCHSPARTNER HATTE“.

Das Wort ist alles
Es zerteilt, verletzt,
Es modelliert, moduliert,
Es verwirrt, macht wahnsinnig,
Es heilt oder tötet einfach,
Es erhebt oder erniedrigt, je nach Gelegenheit,
Es reizt oder beruhigt die Seelen.
 

Komo-Dibi, malischer Vorsänger der Komo-Initiationsgemeinschaft.

(aus: Faik-Nzuji, Clémentine:
Die Macht des Sakralen. Mensch, Natur und Kunst in Afrika. Eine Reise nach Innen.)


Die Wort-Sprache wird – wie immer in Krisen (und auch sonst) – zur einen oder anderen Seite hin gezwungen und bietet ihr schöpferisches Potenzial einer parteilichen Identität an. Damit erzeugt sich zwangsläufig ein Gegenbild, das rasch zum Feindbild mutiert. Das alte Muster der Dualität, das noch keine Polarität in sich installiert hat, wirkt weiter,


Die ursprüngliche Quellkraft des vorurteilsfreien Denkens wird dabei von schnellen Emotionen direkt auf die jeweilige Meinungs-Mühle gelenkt. Durch Wiederholung werden in den Werkstätten der Meinungsmacher jeweils gültige Gedankenmasken und Sprachmatritzen gestanzt. Sie werden wiederholt, hin- und hergebetet und verbreitet, bis sie in aller Munde sind und von dort als eigene Meinung herauskommen.

So gehe ich, mit etwas Lampenfieber, nach sieben Tagen Pause, wieder zur frühen Morgenschicht, wie die Bäcker. Ich male die Wortkerne mit der Handmühle, gebe frisches Quellwasser hinzu und knete den Wort-Teig, um eine frische, nahrhafte Sprachskulptur zu backen.

Die letzen sieben Tage schrieb und malte ich natürlich auch. Etwa ins aktuelle Buch Nr. 44.

Das Sonntags-Tor. Arbeitsplatz. Buch 44. Sieben-Jahres-Projekt mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Wasserfarbe und Blattgold auf Papier. 15 x 19 cm. 19. 4. 2020.
Das Sonntags-Tor. Arbeitsplatz. Buch 44. Sieben-Jahres-Projekt mit Reclam-Universal-Notizbüchern. Wasserfarbe, Blattgold auf Papier. Prismenlicht. 15 x 19 cm. 19. 4. 2020.

Vergiss-mein-nicht
Also wie beginnen? Kurz nach dem Aufwachen waren mir die kleinen Augenblumen präsent. Sie blühen jetzt wieder unter einem unverändert strahlend blauen Himmel.
Ich habe solches Blau hier nie erlebt.
Was will dieses Blau sagen?
Wo bin ich? Bin ich doch in Indien, ist Indien hier? Haben sich die Grenzen, seit sie geschlossen sind, unmerklich aufgelöst wo sie noch nie galten: in der Natur weil die Erde eins ist?
Oder ist ein neuer Kontinent „Coronia“ aus dem www. Internet-Ozean aufgetaucht auf den ich übergesiedelt werde, und ich realisiere das nur langsam? Oder beides?

Nachrichten
Ab und zu muss ich hören was da los ist. Der Nachrichtensprecher sagte, dass wir Sozialkontakte meiden sollten. Er sagt das immer wieder. Diesmal sogar in englisch: „social distance“ Was salopp klang, wie „easy“ wie ein Werbespruch. Und er sagte, dass die neue App entwickelte werde, damit die Smartphones miteinander ihn Kontakt treten können. Geht so Coronien, muss ich coronisch lernen? Wird dort Nachrichten als Verb verstanden? … nachrichten … sich da nach richten?

Bevor ich hier weiterknete und Rot sehe, schau ich weiter ins lichte Blau.
Ich brauche eine Außenperspektive und eine Nahsicht.
So befrage ich die Sonne, und die ur- frischen Blumen, meine Gurus.

Arbeitsblatt. Vergiss-mein-nicht. 30 x 30 cm. Mischtechnik auf Papier. 10.5. 2016.


Dabei taucht im Werkverzeichnis dieses Arbeitsblatt von 2015 auf. Ich lese den handgeschriebenen Text und tippe ihn hier ein. Er gilt auch für heute.

VERGISS-MEIN-NICHT

Das kleine Kind sieht alles: Muster, Rhythmen und Farben, wie einen fließenden Strom. Dann lernt es Dinge durch Wiederkehr zu erkennen, zu benennen und schließlich in Begriffe zu sortieren.

In diesem Begriffsgerüst bildet sich Identität und Wiederkehr.

Bald sieht das Auge keine fließenden Ströme mehr, sondern identifizierbare Objekte. So eine Blume zum Beispiel, die „Vergiss-mein-nicht“ (Myosotis) heißt. 


Sie entfaltet sich exakt in den Proportionen des Pentagramms. Es erzeugt sich selbst aus seiner Mitte, ins Mikrokosmische hinab und in Makrokosmische hinauf, ohne seinen Proportionen zu ändern. Genauer: die Mitte bleibt leer. Aus dieser Mitte kommt die Quellkraft für alle Gestalten, dorthin kehren sie wieder zurück.

„Vergiss-mein-nicht“. Was soll nicht vergessen werden?

Später, wenn das Kind zu einem ordentlichen Erwachsenen geworden wurde, der weiß was er sieht und sieht was er weiß, bleibt bei manchen ein Rest, eine Lücke, ein Riss. Bei mit ist das so.
Dieser Rest weiß um die Grenzen dessen was gewußt werden kann.


Auf der Höhe des Wissens richtet sich dann der fragende Sinn sein Lot in die Tiefe, in der Mitte.

Nun schaut er, vom Wissen, vom Erkannten und Bekannten aus durch die komplexe, reiche und kostbare Hülle der Begrifflichkeit hindurch ins Herz der Dinge. Dann sieht er noch immer das „Vergiss-mein-nicht“ doch er sieht dann –  durch das Begreifen hindurch – DAS BLAUE WUNDER.

DAS BLAUE WUNDER
Eine Redensart aus meiner Kindheit taucht auf die das etwas ganz anderes meint als die himmlische Blume.
„Wenn du nicht folgst wirst du noch „dein blaues Wunder erleben“. … Blaulicht blinkt auf.

Ich setzte meine blaue Maske auf, sehe jetzt doch Rot und beschreibe was ich sehe. Doch es ist noch nicht reif es zu veröffentlichen.

Veröffentlichen
Zwischen dem Schreiben und dem Veröffentlichen ist eine Instanz.
Beim Bäcker ist der Ofen. Bei mir muss der geknetet Teig durchs verantwortungsbewusste Herz-Feuer.

Rotumwandlung
Die Rotumwandlung die aus dem Rot-Sehen resultiert ist besonders und komplex. Das ist eher ein Sauerteig der noch ziehen muss.
Vielleicht ist er Morgen soweit.

Doch Moment mal, wollte ich nicht noch die Sonne noch fragen?Die Blume hat ja bereits gesprochen.

Sonnenrat
Was sagt die Morgensonne.
Ich befrage sie handschriftlich
Das Licht spielt über dem Papier und die blaue Tinte zeichnet lesbare Spuren. 
Sonnenlicht und Handschrift, das geht gut zusammen. 

Kaum haben ich die Frage gestellt taucht die Antwort auf. Ich versehe unmittelbar. Doch es dauert bis ich diese Lichtsprache einigermaßen in Worte übersetzen kann.

SEI TÄTIG FÜR DAS LEBENDIGE BEWUSSTE GEISTESGEGENWÄRTIGE JA,
FÜR DAS WORAUS DU LEBST,
UND VERLASSE DICH – WENN DU STIRBST – AUF DAS UNERGÜNDLICHE DUNKEL DES MUTTERLICHTS.

Jetzt ist es 9 Uhr geworden.
Sechs Stunden habe ich jetzt daran gearbeitet.
Fertig für Heute.
Jetzt muss es noch verpostet werden.

Einen lichtvollen mutigen Tag – im Weiten zu Hause der Seele.

Alfred (Bast)